02.01.15

Glückskind - Steven Uhly




"So viele Jahre hat er damit verbracht, nicht zu leben, dass er gar nicht mehr weiß, wie das Gegenteil ist."

Hans ist Sozialhilfeempfänger. Schon seit vielen Jahren. Seit er nicht mehr Obdachlos ist, was er war, weil er seine Familie verloren hat. Mit seiner Familie ist auch sein Lebensinhalt gegangen. Dabei war er es irgendwie Schuld, dass sie weg wollten. Oder auch seine Frau. Oder doch er. So ganz sicher ist er sich nicht mehr, denn es ist nun schon lange her und vom täglich immensen Fernsehkonsum, ist er im Kopf ganz eingerostet. Manche Erinnerungen hat er auch verdrängt, manche sind verblasst, manche hat er beschönigt.

"Er will die Wohnung verlassen, aber plötzlich bleibt er stehen und fühlt Felizias Herzschlag gleich unter seiner Brust. Ganz schnell ist das Pochen ihres Herzens. Wie das Herz eines Vögelchens, denkt Hans und erinnert sich. [...] ' Eines Tages ', sagt Hans leise zu Felizia, ' werde ich dich auch fliegen lassen. Hoffentlich erst, wenn du es schon kannst.' "

Er ist sich nicht sicher, welchen Sinn sein Leben überhaupt noch macht, als er ein Baby im Müll findet. Ohne zu zögern nimmt er das kleine Mädchen mit nach Hause, bewahrt es vor dem sicheren Tod. Eigentlich will er das Baby geheim halten, will es für sich allein, doch nach und nach kommen ihm die Nachbarn, alle etwas ältere Semester mit vom Lebensweg gefüllten Päckchen, auf die Schliche. Jeder möchte nun Kontakt zu Felizia, denn so ein Neugeborenes, ein neues Leben, bringt wieder Schwung in die Bude, zeigt, wofür es sich zu leben lohnt und dass, egal auf welchen Pfad wir gelangen, das Rad des Lebens immer weiter läuft. Doch so schön die Verpflichtungen einem Neugeborenen gegenüber auch sind, es gibt immer eine Person, die für so ein kleines Menschlein noch wichtiger ist und das ist die Mutter, die immer die Mutter bleiben wird, auch, wenn sie ihr Kind in den Müll geworfen hat.

"Dass all diese Menschen auf festen Wegen unterwegs sind, auf Wegen, die sie Tag für Tag zurücklegen. Wenn ein jeder eine Spur in Farbe hinterließe, dann könnte man ihn durch die ganze Stadt verfolgen, um zu sehen, woher er kommt, wohin er geht, und man wüsste doch nichts über ihn. Hans wird schwindelig von der vielen Bewegung und den vielen Gedanken, die von der vielen Bewegung in Schwingung versetzt werden und sich nun auch schneller zu bewegen scheinen."

"Glückskind" ist die Art besonderes Buch, das man Menschen schenken möchte, denen man etwas auf ihren Lebensweg mitgeben möchte. Egal wie alt sie sind. Es ist aber auch die Sorte Buch, die Menschen aus einem Loch reisen kann, denn es sagt uns: egal was passiert, es geht immer weiter. Das Leben ist eine Berg- und Talfahrt und nach einem Tief kommt auch wieder eine Höhe. "Glückskind" ist ein sehr kluges Buch, das sehr leichtfüßig, von den Irrungen und Wirrungen des Lebens, von Schicksalsschlägen, aber auch von der Möglichkeit sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, erzählt. Ein Buch vom Eingeständnis der eigenen Fehler, vom Vergeben und Vergessen. Ein Buch, das berührt und glücklich macht.

Buchinfo:


btb (Februar 2014)
288 Seiten
9,99 € 
Taschenbuch

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